Alkoholfreies Bier auf der Überholspur – peinlich war gestern
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Jüngste Zahlen der Verbände der Getränkeindustrie und des Statistischen Bundesamtes sprechen von einem rückläufigen Getränkeverbrauch des deutschen Konsumenten. Insgesamt trank dieser 2017 circa 750,9 Liter Alkoholhaltige, Alkoholfreie sowie Heiß- und Hausgetränke. Bei Betrachtung der Statistiken fällt jedoch auf, dass vor allem als gesund geltende Alkoholfreie entgegen dem allgemeinen Trend im betrachteten Zeitraum zwischen 2011 und 2017 zulegten. Eine Entwicklung, die auch dem Segment der alkoholfreien Biere und Biermischgetränke entgegenkam. Und aller Voraussicht nach weiter entgegenkommt – und das nicht nur in Deutschland.
Mit 93,5 Millionen Hektoliter sank der deutsche Bierabsatz 2017 laut Statistischem Bundesamt gegenüber dem Vorjahr um 2,5 Prozent. Zugelegt haben nach Angaben des Deutschen Brauer-Bundes dagegen die alkoholfreien Biere, die in Deutschland gemäß Plato Logic mittlerweile einen Anteil von 6,5 Prozent am Biermarkt erreichen. Besonders alkoholfreie Biermischgetränke wie Radler alkoholfrei, so das GfK Consumer Panel, erfuhren im vergangenen Jahr deutlichen Auftrieb und wuchsen in der Menge sogar um 14 Prozent.
Alkoholfreies Bier ist weltweit im Trend
Wie Plato Logic weiter berichtet, wurden 2017 weltweit 22,7 Millionen Hektoliter an alkoholfreiem Bier abgesetzt. Das entspricht dem Marktforschungsunternehmen zufolge einem Anteil von 1,2 Prozent am weltweiten Biermarkt. 10,9 Millionen Hektoliter davon gingen auf das Konto von Westeuropa. Hier betrug der Marktanteil fast vier Prozent. Deutschland und Spanien (6,7 Prozent Marktanteil) stehen beim Konsum ganz vorne. Im Gegensatz zum weitgehend konstant gebliebenen Verbrauch an klassischen Bieren, wuchs der von alkoholfreien Bieren in den vergangenen fünf Jahren, so Plato Logic, global um 4,5 Prozent.
Allein in Deutschland: 400 alkoholfreie Bier-Sorten
Allein in Deutschland können Freunde des alkoholfreien Biers mittlerweile aus etwa 400 verschiedenen Marken wählen. Dabei steht Vielseitigkeit im Vordergrund. Pils, Weizenbier, Radler oder auch regionale Spezialitäten wie Kölsch, Alt und unterschiedliche Craft Beer Spezialitäten – es gibt so gut wie alles auch in alkoholfrei. Und es wird stetig mehr. Dabei sind kleine Brauereien ebenso aktiv wie Mittelständler und Konzerne.
Studie zeigt: Alkoholfreie Biere sind beliebt und gesellschaftsfähig
Vielleicht auch, weil Brauereien es durchaus für möglich halten, dass im Alkoholfreien eine Zukunft liegt, die klassischem Bier so nicht mehr beschieden ist. Einer Mintel-Studie zufolge weiß jedenfalls gerade die jüngere Generation die Vorteile von Bier mit wenig oder keinem Alkohol besonders zu schätzen. So gaben 31 Prozent der 18- bis 24-jährigen Deutschen und 37 Prozent der gleichaltrigen Franzosen an, dass ihnen „leichtes Bier“ mit einem Alkoholgehalt unter 3,5 Prozent genauso gut schmeckt wie klassisches Bier mit einem Alkoholgehalt von 4 bis 6 Prozent. Über alle Altersgruppen hinweg gesehen meinten über ein Viertel der deutschen Konsumenten, Bier mit niedrigem oder keinem Alkoholgehalt sei ebenso schmackhaft wie der Klassiker. Zudem interessant: Was ehemals peinlich war, scheint es heute nicht mehr zu sein. Nur einer von zehn Deutschen fände es der Studie gemäß peinlich, beim Trinken von alkoholfreiem oder wenig alkoholhaltigen Bier beobachtet zu werden. In Frankreich sind es 14 Prozent. Was gleichzeitig bedeutet, dass alkoholfreies Bier äußerst gesellschaftsfähig geworden ist. Dazu Jonny Forsyth, Global Food & Drink Analyst bei Mintel: „Gesundheits- und Wellnesstrends beeinflussen den Alkoholkonsum zunehmend und führen dazu, dass Verbraucher sich gesünderen Biersorten zuwenden. Gleichzeitig schwindet das Stigma, mit dem alkoholfreies Bier lange behaftet war.“
Weiterhin zeigt die Mintel-Studie, dass die Konsumenten nicht etwa bei wagen Behauptungen bleiben, sondern sich auch ihren Aussagen entsprechend verhalten. So gaben 33 Prozent der Spanier und 23 Prozent der Deutschen an, in den letzten sechs Monaten auch alkoholfreies Bier getrunken zu haben.
Hilfreich beim Marathon-Lauf…
Mit ein Grund dafür, dass alkoholfreies Bier ein immer positiveres Image erlangt, mögen zahlreiche Studien sein, die dessen positive Wirkung bestätigen. Beispielsweise belegte der Sportmediziner Dr. Johannes Scherr von der Technischen Universität München, Lehrstuhl für Präventive und Rehabilitative Sportmedizin, anhand einer Studie, dass der Konsum von alkoholfreiem Weizenbier eine positive Wirkung auf Marathonläufer hat. So trank die eine Gruppe seiner Probanden zwei Wochen vor einem Marathon täglich 1 bis 1,5 Liter alkoholfreies Weizenbier. Die andere Gruppe erhielt ein polyphenolfreies Placebogetränk. Die Personen, die das alkoholfreie Weizenbier bekamen, hatten nach der großen Anstrengung des Marathons deutlich weniger Entzündungsmarker im Blut und erkrankten seltener an einem Infekt als die Mitglieder der Kontrollgruppe. „Den Erfolg führen wir auf die Polyphenole zurück“, meint dazu Dr. Scherr.
Erstaunlich ist auch das Ergebnis einer Studie des Neurologen David Karken von der Universität Indiana in den Vereinigten Staaten. Er wies nach, dass selbst beim Konsum von alkoholfreiem Bier Dopamin ausgestoßen wird und zu einer glücklich machenden Wirkung führt. Daraus folgert er, dass vor allem authentisch schmeckendes alkoholfreies Bier eine ähnliche Wirkung wie alkoholhaltiges Bier verursacht.
…und auch beim Kraftsport
Des Weiteren sind es sicherlich auch interessante neue Produkte, die dem Image des Alkoholfreien gut tun. Beispielsweise entwickelten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Fachgebietes Brauwesen der Technischen Universität Berlin kürzlich für die Start-Up-Gründer Tristan Brümmer und Erik Dimter das angeblich weltweit erste alkoholfreie Proteinbier JoyBräu, dessen Zielgruppe Kraftsportlerinnen und Kraftsportler sind. Seit März 2018 wird die alkoholfreie Bierspezialität über einen Online-Shop vertrieben. Bald soll sie deutschlandweit in den Fitness-Centern zu finden sein. Die Fachjury des „FIBO Innovation & Trend Awards“ kürte das Produkt zum diesjährigen Gewinner des „Branchen-Oscars“ in der Kategorie Lifestyle.
Das Autofahrerbier direkt vom Autokonzern
Eine nicht minder aufmerksamkeitsstarke Idee verwirklichte Volkswagen kürzlich in Argentinien. Dort braut der Konzern angeblich als erster Autohersteller weltweit sein eigenes alkoholfreies Bier. Die Idee hatte die Agentur DDB Argentina, die nicht mit dem erhobenen Zeigefinger vor Gefahren von Alkohol am Steuer warnen, sondern stattdessen auf den Belohnungseffekt setzen wollte. In einer angesagten Bar in Buenos Aires wurde das Volkswagen-Bier in einer Aktion speziell an Autofahrer verteilt, die auf Alkohol verzichteten.
Beispiele, die zeigen, dass alkoholfreies Bier durchaus auch hohes Kreativitätspotenzial hat. So geht Mintel sogar so weit, zu behaupten, dass der Erfolg von neuen alkoholfreien Biersorten auch anderen Märkten als Inspiration dienen kann.
Potenziale für die Zukunft
Für die Zukunft prognostiziert das Marktforschungsunternehmen zudem, dass der Mittlere Osten und Afrika zu einem Hotspot für die Einführung von alkoholarmen oder alkoholfreien Biersorten werden könnten. „Besonders in Ländern mit einer großen muslimischen Bevölkerung, wie zum Beispiel Indonesien, sehen wir hier große Chancen“, meint dazu Forsyth.
Bleibt die Frage, ob es sich nicht gerade jetzt lohnt, noch stärker in die Entwicklung kreativer alkoholfreier Biere und Biermischgetränke zu investieren, trifft der Wunsch nach einem wohlschmeckenden Bier hier doch direkt auf den Gesundheits- und Wellnesstrend. Auf jeden Fall, so Mintel, scheinen die Konsumenten ihrer jeweils bevorzugten Brauerei in dieser Richtung einen ordentlichen Vertrauensvorschuss einzuräumen. So gibt die Mehrheit der deutschen Konsumenten an, sie vertraue darauf, dass ihre Lieblingsmarke auch in alkoholfrei besonders schmackhaft sei.